Die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme

In der Diskussion um die Reform unseres Sozialstaats wird auch in unserer Partei über verschiedene Formen einer Grundsicherung bzw. eines Grundeinkommens diskutiert. Der Bundesfrauenrat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßt und fördert diese Diskussion innerhalb und außerhalb der Partei. Bei jeder Reform und besonders bei radikalen Systemwechseln, wie z.B. der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, muss aber im Sinne des Gender Mainstreaming auch nach den geschlechtsspezifischen Auswirkungen dieser Vorhaben gefragt und die Ergebnisse beachtet werden. Die Fragen, die hierbei zu beantworten sind, lauten beispielsweise: Welche Veränderungen würde die Einführung des jeweiligen Systems für Frauen und für das Geschlechterverhältnis bringen? Wirken sich diese Veränderungen zum Vorteil, im Sinne einer wirklichen Gleichstellung der Geschlechter aus? Kann das jeweilige System zur Gleichstellung von Frauen und Männern und zu partnerschaftlicher Arbeitsteilung beitragen? Welche Voraussetzungen müssen dazu zwingend gegeben sein? Die Zukunft der sozialen Sicherung kann langfristig nur garantiert werden, wenn damit eine Verbesserung der sozialen, gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Situation von Frauen verbunden ist. Dazu sind bei jeder Reform folgende Eckpunkte zu beachten:

  • 1. Die Ansprüche aus einer Grundsicherung/einem Grundeinkommen müssen individuell sein, das heißt unabhängig vom Partner- oder Haushaltseinkommen.
  • 2. Jedes Modell muss eine eigenständige Existenzsicherung für Frauen (auch bei der Alterssicherung) zum Ziel haben. Das bedeutet, dass es mittelfristig keine abgeleiteten Ansprüche mehr geben kann.
  • 3. Staatliche Infrastruktur für gesellschaftliche Aufgaben (z.B. Kinderbetreuung, Bildung) ist weiterhin bereit zu halten, bzw. auszubauen. Wir sprechen uns für mehr direkte Serviceleistungen anstelle von finanziellen Transferleistungen aus.
  • 4. Modelle, die den Empfang der Leistungen nicht an die Bedingung von Aufnahme einer Erwerbsarbeit knüpfen, müssen dennoch mit dem Anspruch auf eine individuelle, aktive Arbeitsmarktförderung verbunden sein. Dabei ist die besondere Förderung am Arbeitsmarkt benachteiligter Gruppen (Frauen, Behinderte, Menschen mit Migrationshintergrund etc.) unbedingt zu beachten und deren Diskriminierung entgegenzusteuern.
  • 5. Fließendere Übergänge zwischen Erwerbsarbeit, ehrenamtlicher Tätigkeit und Fürsorge-, bzw. Familienarbeit sind für Frauen und Männer zu ermöglichen.
  • 6. Modelle, die dazu beitragen können, dass Pflege- und/oder Betreuungsarbeit zu Lasten der Frauen weiter privatisiert werden, sind nicht geschlechtergerecht und angesichts des demographischen Wandels auch nicht zukunftsfest. Auch hier brauchen wir eine staatlich geförderte Infrastruktur, durch die Betreuung und Pflege so organisiert werden kann, dass sie nicht mit der Aufgabe der Erwerbstätigkeit (v.a. von Frauen) einhergehen muss.
  • 7. Sozialstaatliche Errungenschaften, wie die gesetzliche Krankenversicherung (die vorzugsweise zu einer Bürgerversicherung ausgebaut werden sollte) und eine aktive Arbeitsmarktförderung dürfen nicht abgeschafft werden - auch nicht zugunsten von höheren Transferzahlungen. Sonst besteht die Gefahr, dass diese Zahlungen sich zu einer „Stillhalteprämie“ bzw. zu einer „Zu-Hause-bleib-Prämie“ für Frauen entwickeln, die sie zwar finanziell in gewisser Weise absichern, ihnen aber die gleichberechtigte Teilhabe an gesellschaftlichen Ressourcen verwehren.

Die Reform der sozialen Sicherung alleine, gleichgültig ob sie als Grundsicherung oder (bedingungsloses) Grundeinkommen gestaltet ist, wird keine Auflösung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung mit sich bringen. Dieses Ziel muss gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleiben, das in allen Politikbereichen verfolgt und umgesetzt wird. Im Steuerrecht brauchen wir dringend eine Steuerreform, die das Ehegattensplitting und die Steuerklassen 3 bis 5 endlich abschafft, um der einseitigen Bevorzugung der Alleinverdienerehe ein Ende zu setzen.

Auch in der Renten- und Krankenversicherung brauchen wir einen Wandel hin zu eigenen Ansprüchen. Eine Bürgerversicherung, die neue Einkommensarten einbezieht und die gesellschaftliche Solidarität stärkt, ist hier ein wichtiger Schritt. Wir treten dafür ein, dass die Politik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich auch weiterhin für eine eigenständige Existenzsicherung der Frauen einsetzt. Der Gestaltungsspielraum des Staates muss erhalten und für mehr Geschlechtergerechtigkeit ausgeschöpft werden.

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