Dietmar Lingemann:

Gemeinwohlorientierter Sektor

1. Die Strategie, einen „Gemeinwohlorientierten Sektor“ zu schaffen, resultiert aus einer Zusammenschau mehrerer Tendenzen und versucht, Lösungsansätze in einem Projekt zu bündeln. Sie unterscheidet sich von früher diskutierten Modellen eines „Öffentlichen Beschäftigungssektors“, denn sie geht von einem Umbruch in eine Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft aus. Auch deshalb ein neuer Begriff.

2. Die Veränderungen in Wertschöpfung und Wirtschaft, der Übergang in die Wissensgesellschaft macht sich auf dem klassischen „Arbeitsmarkt“ vor allem negativ bemerkbar: Die Nachfrage nach traditioneller „Arbeitskraft“ nimmt rasant ab. Auch „aktive Arbeitsmarktpolitik“, die darauf setzt, durch stärkere berufliche Qualifikation die Anbietersituation zu verbessern, kann die Schere zwischen Überangebot und fehlender Nachfrage nicht schließen.

3. Deshalb bietet es sich an, zwei Grundüberlegungen neu oder verstärkt in die Betrachtung einzubeziehen: - Ein „Fit“ auf dem Arbeitsmarkt (Übereinstimmen von Angebot und Nachfrage) lässt sich evtl. prinzipiell nicht erreichen - aus welchen Gründen auch immer. In diesem Fall ist ein Wechsel von der reinen „Arbeitsmarktpolitik“ zu einer „Neuen Beschäftigungspolitik“ zwingend. - Die Arbeitssoziologie sieht einen Wechsel im Grundtyp von Arbeitskraft; dieser ist für die Beteiligten (Anbieter und Nachfrager) aber möglicherweise unklar oder unsicher.

4. Es geht also nicht um eine bessere Berufsqualifikation des einzelnen, sondern um eine völlig neue Massenqualifikation, um einen grundsätzlichen Umbau der alten „Arbeitskraft“ in einen neuen Typ von „Tätigkeit“.

5. Gleichzeitig kommt die Umbruchkrise der Industriegesellschaft von mehren anderen Seiten her in den Blick: - Die öffentlichen Hände verfügen - jedenfalls in bisheriger Verfasstheit - über immer weniger Mittel. Gesellschaftliches Bedürfnis auf der einen und private Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite bilden einen Widerspruch, der mit Gewalt zur Lösung drängt, wie die Entwicklung der Nachfrage nach MAE-Jobs zeigt und zwar ohne Rücksicht darauf, dass evtl. bestehende Lohnsysteme eingerissen werden. - Der Niedergang der industriegesellschaftlichen Verfasstheit bringt auch Verluste von sozialer Kohärenz mit sich, die nicht durch neue Kohärenzen an anderer Stelle kompensiert werden. Die Schaffung neuer sozialer Kohärenz, gestützt auf die subjektiven Kompetenzen (statt Traditionen) ist notwendig.

6. Die notwendige zukunftsfähige Antwort auf die beschriebene Situation auf dem Arbeitsmarkt ist eine Grundsicherung. Aber sie allein genügt nicht, denn eine bloß materiell/monetäre Grundsicherung schafft nicht die Möglichkeit für Teilhabe, für Zugang zu gesellschaftlichen Netzwerken, für Aneignung neuer Kompetenzen, für die Einbringung der Fähigkeiten in die Gesellschaft, für die Anerkennung, die aus produktiver Teilnahme erwächst.

7. Dieses aber kann ein „Gemeinwohlorientierter Sektor“ leisten, also Zugang zu gesellschaftlichen Netzwerken, die Entwicklung von Kompetenzen und Handlungsfähigkeiten und gleichzeitig auch eine Mitaneignung der Ergebnisse ermöglichen.

8. Auf Seiten der Akteure wird dabei wichtig die Selbstorganisation als Basisqualifikation in Gruppenzusammenhängen, indem die Arbeit selbst organisiert wird. Die Handelnden definieren selbst Aufgaben oder Ziele im Sinne von Bürgerbeteiligung. Dabei geht es auch um den Erwerb einer breiten Palette von subjektiven Kompetenzen, die für Tätigkeiten diesseits und jenseits einer Erwerbsarbeit notwendig sind, aber eben nicht direkt auf eine berufliche Tätigkeit bezogen sind.

9. Auf Seiten der Gesellschaft geht es darum, eine Stärkung oder „Rückgewinnung“ des Sozialen anzuschieben, ohne gegenüber dem Einzelnen ein leeres Versprechen einer Einmündung in den 1. Arbeitsmarkt zu machen. Weitere Aufgabe wird aber auch sein, den Input in das Soziale, den Beitrag zur „Allmende“, den die Beteiligten leisten, auch für sie selbst habhaft werden zu lassen. Erster Schritt ist hier eine Kultur der Anerkennung - statt des „Forderns“.

10. Die Palette der Handlungsmöglichkeiten im Gemeinwohlorientierten Sektor sollte sehr breit sein: sein Wissen ins Internet zu stellen ist ebenso gesellschaftsdienliches Handeln wie das Training von Jugendmannschaften oder kulturelles Engagement.

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