”Die Deckung des Grundbedarfs darf nicht angetastet werden.”
(Grundsatzprogramm von Bündnis 90/ Die Grünen, 2002)
von Dirk Jacobi, Stefan Ziller, Joachim Behncke und Uwe Fröhlich vom Arbeitskreis Grundsicherung/Grundeinkommen, Berlin
Präambel
In den letzten Jahren hat sich die Zahl derer, die von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen wurden erhöht. Sei es fehlender Zugang zu Bildungs-, Qualifizierungs- und Förderangeboten als auch der fehlende Zugang zum ersten Arbeitsmarkt. Gleichzeitig hat sich das Armutsrisiko insbesondere bei Erwerbslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit, aber auch bei zunehmender Beschäftigung in prekären Arbeitsverhältnissen und im Niedriglohnbereich dramatisch erhöht. Gesundheitsprobleme und Krankheiten treten bei den davon Betroffenen in erhöhtem Maße auf. In Folge von Langzeitarbeitslosigkeit und niedrigen Rentenbeitragszahlungen werden wir auch eine Antwort auf die Gefahr von Altersarmut geben müssen. Angesichts dieser Entwicklungen ist es an der Zeit, einen Paradigmenwechsel bei den Systemen der sozialen Sicherung vorzunehmen.
Bündnisgrüne Kriterien für eine Grundsicherung
- Die Grundsicherung muss gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe ist auf die Gewährleistung der materiellen Voraussetzungen angewiesen. Über die Grundsicherung hinaus muss sichergestellt werden, dass der Zugang zu Institutionen wie Bildungseinrichtungen und die Ermöglichung von Mobilität gewährleistet ist. Diese Institutionen müssen verbessert und ausgebaut werden.
- Eine Grundsicherung muss materielle Sicherheit gewährleisten, die frei ist von Stigmatisierung, und die Teilnahme am Arbeitsmarkt ermöglichen. Es geht also nicht darum, entweder eine Grundsicherung für die von der Erwerbsarbeit Ausgeschlossenen einzuführen oder um eine alleinige Ausrichtung der Grundsicherung auf die Integration in den Arbeitsmarkt, sondern um ein ”sowohl als auch”.
- Wir streben eine abgestimmte Reform von Grundsicherung und Steuersystem an. Es ist nur eine technische Frage, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen oder eine Negative Einkommenssteuer, in der Variante, in der die Negativsteuer auch für die Nichterwerbstätigen gilt, zu bevorzugen ist. Verteilungspolitisch sind beide Systeme identisch.
- Eine Grundsicherungsreform muss zu einer Umverteilung von ”oben” nach ”unten” führen und eine Besserstellung der am schlechtesten gestellten BürgerInnen gewährleisten. Damit knüpft sie an grüne Gerechtigkeitsvorstellungen an.
Eckpunkte bzw. Wege zu einer Grundsicherung
- Grundsicherungs-Anspruch: Ein individueller Anspruch für alle BürgerInnen auf die Grundsicherung soll bestehen. Die jetzt vorhandene Orientierung an Bedarfsgemeinschaften und am PartnerInneneinkommen ist, entsprechend der grünen Beschlusslage, aufzugeben.
- Gegenleistungen: Die Grundsicherung ist nicht an eine Gegenleistung gekoppelt. Für eine funktionierende Gesellschaft ist jedoch die aktive Teilnahme eines jeden und einer jeden erforderlich. Diesem wird jede und jeder in unterschiedlicher Weise – je nach den eigenen Möglichkeiten - gerecht werden. Der Bezug der Grundsicherung, also die finanzielle Grundlage der Existenz, ist nicht an die Erfüllung dieser Erwartung gekoppelt. Dieses Recht auf eine Grundsicherung ist notwendig, damit die Menschen befreit von Existenzsorgen ihre Talente freier entfalten können. So ist eine stigmatisierungsfreie Hilfe und Unterstützung möglich.
- Höhe: Orientierung an den OECD-Armutskriterien. Aber (im Gegensatz zu der Skalierung bei der Berechnung der Armutsgrenze) gleiche pauschalierte Höhe für alle Erwachsenen und verminderter pauschalierter Satz für die Kinder. Der verminderte Satz für Kinder begründet sich mit den staatlichen Aufwendungen für kostenfreie Bildungsangebote (z.B. Kita und Schulen mit Öko- Essen) und Mobilität. Berechnung steht aus. Wahrscheinliches Ergebnis: etwas höher als der gegenwärtige Satz von Arbeitslosengeld II und der durchschnittlich gezahlten Wohnkosten. Wohnkosten sind in der Pauschale enthalten, könnten ggf. differenziert nach Region bezahlt werden. Krankenversorgung ist Bestandteil der Grundsicherung. Deshalb ist die Pauschale um den Krankenversicherungs- und Pflegesatz je nach aktueller Lage der Gesundheitsreform aufzustocken.
- Einkommensabhängigkeit: Die Grundsicherung ist einkommensabhängig. Einkommen aus Erwerbsarbeit und Einkommen aus Vermögen sind zu berücksichtigen. Jedes Einkommen wird ( bis zu einer noch festzusetzenden Einkommenshöhe, z.B. dem doppelten Grundsicherungssatz ) nur noch mit 50% auf die Grundsicherung angerechnet. Eine Vermögenssteuer ist gleichzeitig einzuführen, um auch Vermögen entsprechend zu belasten und zur Finanzierung unseres Gemeinwesens in die Pflicht zu nehmen. Die Weiterentwicklung der Öko-, Ressourcen- und Unternehmensbesteuerung ist zu prüfen.
- Renten- und Arbeitslosenversicherung: Die Leistungen der Renten- und der Arbeitslosenversicherung werden durch die Grundsicherung gesockelt. Im Gegenzug wird die bestehende Spreizung der Rentenleistungen und von Arbeitlosengeld I gestaucht.
- Arbeitsmarktpolitik: Eine aktive Arbeitsmarktpolitik ist auch nach Einführung der Grundsicherung absolut notwendig. Dazu gehören die Ansprache und Betreuung der unzureichend in die Gesellschaft Integrierten, Qualifizierungsmaßnahmen und ein dauerhafter öffentlicher Beschäftigungssektor, wie ihn die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert. Eine Kürzung der Grundsicherung, um Druck auf die Arbeitslosen auzuüben, ist ausgeschlossen.
- Wegfall von Leistungen: Arbeitslosengeld II, Grundsicherung für Alte und Erwerbsunfähige, Wohngeld, Bafög, Kindergeld, Ehegattensplitting, Steuerfreibeträge (nur beim bedingungslosen Grundeinkommen) Elterngeld, Witwenrente, Waisenrente, Streichung von weiteren Steuerprivilegien.
- Einnahmen: Grundsicherung/Grundeinkommen soll – wenn möglich – über die Einkommenssteuer finanziert werden. Die Einführung der Vermögenssteuer und die Erhöhung weiterer Steuern zur Finanzierung der sozialen Infrastruktur (Bildung, öffentlicher Beschäftigungssektor für Problemgruppen usw.) sollte diskutiert und überprüft werden.